In seinem Urteil begründet das Landgericht Frankfurt, warum die erste Berichterstattung der SZ über die Vorwürfe gegen den Sänger der Band “Rammstein” zulässig ist.

Dürfen Journalistinnen und Journalisten über Vorwürfe berichten, wenn es sich um eine “Aussage gegen Aussage”-Situation handelt? Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt unter dem Vorsitz von Richterin Ina Frost hat diese Frage im Rechtsstreit des Rammstein-Sängers Till Lindemann gegen die Süddeutsche Zeitung beantwortet. In der Begründung des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Urteils vom 6. September, die der SZ am Dienstag zugestellt wurde, führt die Kammer aus, dass der “erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen” auch gegeben sein kann, wenn es für die konkrete Situation nur eine Zeugin gibt. Sonst “würde dies dazu führen, dass über einen möglichen Vorfall wie den vorliegenden nie berichtet werden dürfte”, so das Gericht. In diesem Fall war dies erlaubt.

Die SZ hatte in ihrem Artikel “Am Ende der Show” am 2. Juni gemeinsam mit dem NDR berichtet, dass mehrere Frauen dem Rammstein-Sänger Till Lindemann Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe vorwerfen und damit erstmals detailliert das sogenannte “Casting-System” beschrieben, mit dem vor und nach Rammstein-Konzerten regelmäßig junge Frauen für Partys und Sex mit Till Lindemann rekrutiert wurden.

Während Till Lindemann und seine Anwälte dieses Casting-System nicht bestreiten, argumentierten sie in ihrem Unterlassungsbegehren gegen die SZ, dass die im Artikel beschriebenen sexuellen Handlungen einvernehmlich gewesen seien und damit in die Intimsphäre des Sängers fielen, die sie durch die Berichterstattung der SZ verletzt sahen. Außerdem sei der Artikel unausgewogen. Dem war die SZ entgegengetreten.

Das Landgericht Frankfurt wies das Unterlassungsbegehren vollumfänglich zurück und führt aus, warum es an der Berichterstattung nichts auszusetzen hat. Für die Berichterstattung über das “Casting-System” sieht die Kammer ein “überragendes öffentliches Informationsinteresse”, insbesondere “unter Präventionsgesichtspunkten”. Dies umfasse auch die geschilderten sexuellen Kontakte, wenn “junge Frauen systematisch für sexuelle Handlungen mit dem Kläger ausgesucht und diesem organisiert zugeführt werden” und “in diesem Rahmen aufgrund ihrer Unerfahrenheit in Situationen geraten können, in denen es zu sexuellen Handlungen kommt, aus denen sie sich aus Angst oder Scham oder einer erheblichen Alkohol- oder Drogenintoxikation nicht mehr herauszulösen vermögen”, so die Urteilsbegründung.

Auch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Lindemann führe nicht zu einer Unzulässigkeit der Berichterstattung

Die SZ hatte unter anderem den Fall einer jungen Frau geschildert, die nach einem Konzert in Wien im August 2019 zu einer Aftershowparty in ein Hotel gegangen war. Sie schilderte, dass sie im Lauf der Nacht bewusstlos geworden sei. Als sie aufgewacht sei, habe Till Lindemann “auf ihr drauf” gelegen und habe sie gefragt, ob er “aufhören solle”. Die Kammer sah in dieser Berichterstattung durchaus einen Verdacht eines möglichen sexuellen Übergriffs erweckt.

Die strengen Maßstäbe einer zulässigen Verdachtsberichterstattung sieht die Kammer aber im von Till Lindemann angefochtenen Artikel erfüllt. Die SZ habe nicht nur eidesstattliche Versicherungen der mutmaßlich betroffenen Frauen selbst vorgelegt, sondern auch zusätzlich von weiteren Personen, denen die Frauen bereits von ihren Erlebnissen berichtet hatten, bevor Rammstein in dieser Sache überhaupt in die Schlagzeilen geraten war. Die SZ habe zudem glaubhaft machen können, dass sie vor der Veröffentlichung des Artikels “in ausreichendem Maße Anstrengungen unternommen hat, um die Richtigkeit der Angaben zu verifizieren”, so das Urteil. Die SZ habe insbesondere auch glaubhaft gemacht, dass die junge Frau im Hotel nach dem Konzert in Wien 2019 “möglicherweise nicht in der Lage war, eine wirksame Zustimmung zu sexuellen Handlungen mit dem Kläger, die unstreitig stattgefunden haben, zu erteilen”.

Der Artikel sei ausgewogen, Till Lindemann und die Band Rammstein hätten außerdem ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Auch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Berlin gegen Lindemann führe nicht zu einer Unzulässigkeit der Berichterstattung. Die Kammer verweist darauf, dass die Staatsanwaltschaft die beiden mutmaßlich betroffenen Frauen nicht befragt hat. Im Gespräch mit dem Portal LTO hat Lindemanns Anwalt Simon Bergmann angekündigt, in Berufung gehen zu wollen.

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    1 year ago

    Gegen ihren Willen? Nein. Wenn man jemandem etwas ins Glas tut und die Person es trinkt, ist das gefährliche Körperverletzung. Das gibt ernsthaft Ärger. Aber Menschen überreden sich zu betrinken ist erlaubt. Genauso ist es erstmal erlaubt mit betrunkenen Menschen zu schlafen. Wobei ein gewisser Grad der Betrunkenheit eine “Ja-heißt-Ja”-Reglung auslöst (bei nüchternen Menschen geht der Gesetzgeber davon aus, dass sie rechtzeitig nein sagen, bei Menschen, die aufgrund" ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist" muss man sich der Zustimmung versichern). Kindern oder Jugendlichen Alkohol zu geben kann verboten sein, aber das ist nicht im Strafrecht geregelt. Wir reden hier also nur von Geldbußen. Und bei FSK-18-Konzerten mit Einlasskontrolle kann man auch das vergessen. Da wäre wenn überhaupt jemand vom Einlass dran.

    Wie gesagt, unsere Gesetze sind mit Absicht so geschrieben, dass man Menschen erlaubt sich in gefährliche, unmoralische Situationen zu begeben. Wenn Du dich zu einer Dummheit überreden lässt, ist das dein Problem. Das ist auch sinvoll, weil Gleicheitsgrundsetze gelten. Wenn wir zu schnell Menschen, die Verwantwortung über ihre Entscheidungen abnehmen würden, müssten wir auch sehr, sehr viele Täter freilassen. Die Handeln ja sehr oft auch aus einer emotionalen Stresssituation heraus. Das ist halt das Problem mit dem freien Willen. Eigentlich existiert er nicht, aber wir müssen um unsere Gellschaft zu erhalten so tun, als hätten Menschen einen und wären rational.

    Außerdem ist das Strafrecht das utima ratio des Rechtstaats. Zwischen Strafrecht und moralisch akzeptablem Verhalten gibt es eine sehr breite Pufferzone, in der sich der Staat darauf verlässt, dass soziale Interaktion für Ordnung sorgt. Und in gewisser Weise ist das hier ja auch passiert. Klar, für Menschen wie Lindemann, die sich gern in diese Pufferzone begeben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie gelgendlich in den strafbaren bereich kommen. Aber das bei Sexualdelikten nachzuweisen ist nun einmal selten möglich. Kein Psychiater wird einem angebelichen Opfer bescheinigen, dass es bei einem Eregnis vor Jahren mit absoluter Sicherheit in seiner “Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt” war.

    Insofern glaube ich echt nicht, dass Lindemanns Status hier etwas geändert hat. Zumindest nicht zu seinen Gunsten. Im Normalfall hätte da niemand, nicht einmal ein Journalist, ermittelt. Es hätte höchsten Streitereiten und ggf. Kontaktabbrüche zwischen Freunden und Bekannten gegeben. Wobei wir wieder bei den sozialen Ordnungsmaßnahmen wären. Tl;dr: Es ist nicht verboten ein schlechter Mensch zu sein.